Jahresrückblick spezial!

Pit Knorr, ältester Boulespieler Hessens (112), war mal wieder auf der Piste. Hier sein Bericht aus dem Sommer 2017:

Schon seit einiger Zeit habe ich den Verdacht, dass das Boule-Spiel eine ziemlich bescheuerte Freizeitbeschäftigung ist. Natürlich wimmelt es im Lebenszeitverschleuderbereich von noch viel bescheuerteren Möglichkeiten. Aber für eine musste man sich ja irgendwann mal entscheiden. Hab ich es je bereut?  Nie so wie im letzten Sommer.
Da waren meine Freunde und ich in L. Ich kann den wahren Namen dieser Stadt nicht nennen, denn es gibt keine noch so üble Beleidigung, die nicht auf sie zuträfe. Vielleicht handelt es sich um Leipzig oder Limburg. Jedenfalls könnte man sich an mir rächen wollen, wenn jemand auf die Idee käme, bei dem von Gott und allen guten Geistern verlassenen Dreckskaff, das nicht weniger als eine Infernalbeleidigung menschlicher Würde und jedes humanen Lebenssinnes darstellt, es könnte sich etwa um einen Ort mit dem in alle Ewigkeit verdammten Namen Langenselbold handeln.

In L. jedenfalls wurde ein Ligawettbewerb zwischen den Orten Blödmannshausen, Dummersbach, Gründlichdoof und weiteren in der 3. Hessischen Liga beheimateten Boule-Vereinen durchgeführt, an dem auch die Spielgemeinschaft Veteranos Frankfurt teilnahm. Es handelt sich hierbei um eine Selbsthilfegruppe älterer Menschen auf der verzweifelten Suche nach einem späten Lebenszweck b.z.W. einem Hauch von Glück oder ersatzweise Luxus. Wer derlei in L. zu finden hofft, muss wahnsinnig sein. Ich gehöre zu dieser Gruppe.

Allerdings hatte ich keine Vorstellung davon, was Boulespieler der 3. Liga bei einem Turnier in L. erwartet.

Früher sind wir in anderen Orten gewesen. Dort herrschte Frohsinn. Es gab Getränke. Pastis und Bier, Wein oder Cola. Kristallklares Wasser. Speisen vom Feinsten. Kaffee und Kuchen. O diese Kuchen! Manchmal sind wir nur der Kuchen wegen zu solch fabelhaften Orten wie Tromm oder Groß-Gerau gefahren. Fantastisch organisierte Turniere. Mit Musik und Lautsprecherdurchsagen der heitersten Art. Ansprachen von klugen Bürgermeistern die ihre Gäste zu würdigen wussten. Und Boulespiele auf hohem Niveau. Geselligkeit und Sportsgeist, Wettkampf und Lebenslust. Schießen, legen, leben – Boule at it´s best.

In L.? Nichts, aber auch gar nichts dergleichen. Die Sonne brennt auf einen schattenlosen, staubigen Sportplatz. Das Vereinslokal ist geschlossen. Neben dem Platz leeren verkaterte Bürger im Minutenabstand unter gewaltigem Klirren  bei laufenden Motoren tausende von leergetrunkenen Flaschen aus den Kofferräumen ihrer SUVs in gewaltige Glascontainer. Keines Blickes würdigen sie die bald hundert verbiesterten Boulespieler, und begeben sich stracks nach hause zum Weitersaufen mit späterer Sportschau. Es gibt beim Boule-„Sport“ sowieso keine Zuschauer. Geschweige denn jegliche Sport-Berichterstattung in Fernsehen, Funk oder Zeitung. Das fand man mal gut. Freies Spiel. Wie die Snowborder den Ski-Verbandsfunktionären den Vogel zeigten, so liebten es die Boulisten, ihren Kram unter sich auszumachen. Heute hauen sie sich die dicken Regelbücher um die Ohren, kriechen dem Deutschen Sportbund in den Arsch und Du kannst froh sein, dass Du nicht der Sportgerichtsbarkeit ausgeliefert wirst, wenn Dein Fuß mal 5 cm neben dem Abwurfkreis steht. Es gibt in jeder Mannschaft der 3. Hessenliga mindestens einen, der Dich über irgendwas belehrt. Im Zweifel ist es der Sportwart der Boule-Pullerer aus Doofmannsdorf. Demnächst auf gehobenem Verbandsposten.

Doch zurück nach L.: 8 Spiele sind zu absolvieren. Das geht ab halb elf. Jetzt könnte mal Mittagspause sein. Aber wozu? Es gibt kein Catering, also nichts zu essen und nichts zu trinken. Gar nichts. Nicht  mal Kaffee. O doch: aus dem Kofferraum eines Wagens kann man sich für 1 Euro die Flasche pisswarmes Sprudelwasser holen. Dank dem Veranstalter! Dank der Gemeinde! Die Pause entfällt. Die Sonne knallt. Gegen 18 Uhr ist endlich Schluss. Man hat mal gewonnen, mal verloren, auf jeden Fall die Schnauze voll. Das Leben könnte so schön sein.

Und  was darf ich mitnehmen nach Hause? Dies: 1 Sonnenbrand, 2 Klumpfüße,1 Staublunge, 1 Hungerast, 1 Muskelkater und die unbändige Lust, einen fairen, sachlichen, objektiven Bericht über eine Boulesportveranstaltung in L. zu verfassen.

Allerdings, es kann nicht alles gelingen.